Heimatlose Freiheit

Warum die FDP für mich keine liberale Partei ist

Der Liberalismus ist zurück. Er trägt Drei-Tage-Bart, Unterhemd und Schwarz-Weiß. Der neue Liberalismus, inkarniert im FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner, ist eloquent, er ist sexy, er ist hip. Ihn umweht der Geruch von Weite und Freiheit, von Selbstbestimmung und Optimismus und vor allem: von Erfolg. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Der neue Liberalismus hat nur ein Problem: Er hat mit Liberalismus eigentlich sehr wenig zu tun. Klaus Englert hat es in einem Politischen Feuilleton für den Deutschlandfunk Kultur kurz aber treffend analysiert. Ich würde es so sagen: Die Freiheit der neuen FDP ist die Freiheit der Marlboro-Werbung. Weniger Staat – und sehr viel Inszenierung.

Das FDP-Wahlprogramm, Abschnitt „Vorankommen durch eigene Leistung“, entwirft das Bild eines Landes, in dem die Menschen ihre eigene Lage nicht mehr durch Leistung verbessern können – Schuld ist der „Bürokratismus“, der die „Innovationskräfte der sozialen Marktwirtschaft“ fesselt. Hört sich gut liberal an, ist aber rhetorischer Seifenschaum aus dem Zauberkasten des Neoliberalismus. Wenn man „Soziale Marktwirtschaft“ durch „Camorra“ und „Bürokratismus“ durch „Rechtstaat“ ersetzt, ergibt der Satz noch beinahe ebenso viel (oder wenig) Sinn: Nur durch Reduzierung des Rechtstaats können die Produktivkräfte der Camorra freigesetzt und den jungen, aufstrebenden Entrepreneuren der Branche neue Chancen eröffnet werden.

Diesem Freiheitsverständnis ist egal, wer da eigentlich wozu befreit wird und was er oder sie mit dieser Freiheit anfängt. Ihm geht die universalistische Haltung ab, die für liberales Denken eigentlich kennzeichnend ist. Das zu befreiende Individuum ist immer ich selbst. Es geht um „meine“ Freiheit, um „meine“ Chance, um „meinen“ Erfolg. Es geht eben nicht um größtmögliche Freiheit für alle.

Freiheit ohne Regeln?

In der Diesel-Affäre hat Christian Lindner dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Es gelte, Fahrverbote für Diesel-PKW „um jeden Preis“ zu verhindern, da es sich um „Enteignung“ handele. Der Deutschen Umwelthilfe, die gerade den Klageweg beschreitet, um wirksam Luftreinhaltepläne in deutschen Städten zu erzwingen, wirft er Ideologie vor. Sie sei nicht gemeinnützig und empfange Sponsorengelder, vertrete mithin ebenfalls wirtschaftliche Interessen. Da es sich um den Kampf zweier Technologien handele, solle sich der Staat „als Schiedsrichter“ aus dem Konflikt raushalten – meint: Das mit den Grenzwerten mal nicht so genau nehmen.

Man muss sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein „liberaler“ Politiker wirft einer nichtstaatlichen Organisation das Vertreten von Wirtschaftsinteressen vor, weil diese sich daran macht, geltendes Recht auf dem Rechtsweg durchzusetzen! Stattdessen soll der Staat den eigenen Ordnungsrahmen lieber aufweichen, wenn dieser eine Technologie benachteiligt. Anders ausgedrückt: Er fordert den Schiedsrichter-Staat auf, die Fouls der Heimmannschaft zu ignorieren, weil diese viel Geld in den Einkauf ihrer Spieler investiert hat.

Lindner entfernt sich mit rasenden Schritten von der wirtschaftspolitischen Tradition des Ordoliberalismus. Das Recht zu beugen oder mit Steuergeld einzuspringen, sind mit ordoliberalem Denken eigentlich nicht vereinbar. Das politische Muster ist das einer Interessenvertretung, eines Lobbyisten: Es zählen einzig die Interessen der eigenen Klientel.

Liberaler Universalismus

Liberalismus ist eigentlich eine politische Haltung, die das Individuum und seine Freiheit in das Zentrum setzt. Er fordert aber nicht nur die eigene Freiheit ein oder die Freiheit einer Gruppe, sondern die Freiheit aller. Das Recht der Freiheit kommt dem Menschen als Menschen zu. Die Freiheit der eigenen Klientel zu fordern ist gerade kein Liberalismus. Auch die Adligen des mittelalterlichen Feudalismus forderten Freiheiten ein – für die feudalistischen Adligen halt. Das ist nicht Liberalismus sondern Interessenvertretung. Liberales Denken beschränkt die Freiheiten der Adligen, um die Freiheit der Leibeigenen zu ermöglichen. Liberales Recht schränkt die Freiheit der Konzerne ein, um die Freiheit der VerbraucherInnen (und der KonkurrentInnen!) zu schützen. In Anlehnung an Rosa Luxemburg: Freiheit ist immer die Freiheit der anderen.

Vorsicht! Philosophischer Überbau…

Eine wichtige Einsicht des politischen Liberalismus ist, dass Freiheit nur möglich ist, wenn es für alle gleichsam verbindliche Regeln gibt. Gewissermaßen gemäß Immanuel Kants klassischer Formulierung

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ – Immanuel Kant: AA IV, 4215

kann freies Handeln eines Menschen nur dann gedacht werden, wenn es mit dem freien Handeln aller Menschen vereinbar ist. In einer Gesellschaft, in der nur wenige frei sind, sind auch diese Wenigen niemals wirklich frei – und wenn es der Zwang ist, ihre Sonderstellung erhalten zu müssen.

Die Aufgabe eines politischen Liberalismus

Die traurige Seite der ganzen Sache ist, dass der moderne Vulgär-Liberalismus, der sich selbst zu einer Interessenvertretung einer wirtschaftlichen Aristokratie degradiert, den neuen Autoritären und ihrer Rhetorik wenig entgegenzusetzen hat. Es wäre eigentlich an Liberalen, die Stärke des Rechts gegen das „Recht des Stärkeren“ zu verteidigen. Wer das Recht auf seiner Seite weiß, muss sich keinen „starken Mann“ suchen, um die eigenen Interessen zu vertreten.

Es wäre zweitens die Aufgabe eines modernen Liberalismus, nicht nur das Zutrauen in den Erfolgswillen und die Einsatzbereitschaft des/der Einzelnen zu stärken. Sondern auch das Zutrauen in die Fähigkeit zum Interessenausgleich, zum vernünftigen Dialog, zur Verhandlung und Durchsetzung allgemeiner Normen. Dazu eine Anekdote am Rande: Die Forderung nach einer allgemeinen, durchaus hohen Erbschaftssteuer gehört eigentlich zum Grundbestand liberalen Denkens. (Oder würde hier jemand Adam Smith als Sozialisten bezeichnen?) Die FDP ist deren eingeschworene Gegnerin.

Es wäre drittens die dringende Aufgabe einer liberalen Partei, den Gedanken der sozialen und ökologischen Verantwortung mit marktwirtschaftlichem Denken zu versöhnen. Sozialstaat und Ökologie sind unmittelbare Folgen aus der Einsicht, dass Freiheit nur universell gedacht werden kann und eine Freiheit, die auf Kosten kommender Generationen oder auf Kosten der Schwächeren erkauft wird, eben keine Freiheit ist – sondern Ausbeutung. Auch diesen Gedanken hat die FDP in ihrem von 1971 bis 1977 gültigen Freiburger Parteiprogramm einmal vertreten. Die heutige FDP scheint sich nicht schnell genug davon distanzieren zu können.

Schlusswort – Heimatlose Freiheit

Unter dem Strich steht für mich die traurige Erkenntnis, dass der politische Liberalismus in Deutschland derzeit ziemlich heimatlos ist. Die FDP vertritt ihn jedenfalls nicht. Die SPD besinnt sich – zu Recht – auf ihre eigene sozialdemokratische Tradition, Sachwalterin der unteren Mittelschicht zu sein. Die CDU ist deutlich nach rechts gerückt und gemeinsam mit der CSU hauptverantwortlich für die juristische Immunität großer Unternehmen. Sie ist – auch unter einer Kanzlerin Angela Merkel – die Partei der oberen Mittelschicht.

Und wer steht für den Gedanken, dass die Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Interessen auch irgendwie zusammenhalten muss? Dass es ein für alle gleichsam verbindliches Recht braucht? Wer sucht den Ausgleich unter den Interessen – und dabei den Ausgleich mit den kommenden Generationen? Ich hoffe, dass die GRÜNEN den Mut dazu finden.

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