Heute ist kein Tag der Trauer.

Eine Wutrede

Nein. Heute ist kein Tag der Trauer. Wir sind zu betroffen, um „betroffen“ zu sein. Trauer, Anteilnahme – das passt zu tragischen Unglücken. Der Anschlag von Hanau aber war nicht tragisch – er war verbrecherisch.

Der Anschlag von Hanau war rassistischer, rechtsextremer Terror. Wer spricht noch von „anscheinend“ und von „mutmaßlich“? Es war in Terroranschlag in einer Reihe von Terroranschlägen.

Was nutzt es den Angehörigen der Opfer, wenn unsere Gedanken und Gebete bei ihnen sind? Was nutzt es den zukünftigen Opfern, wenn wir heute für eine Minute schweigen? Nein, die Tage der Demonstrationen, Mahnwachen und Lichterketten sind vorüber. Heute ist nicht der Tag, um weitere Zeichen zu setzen gegen Rassismus, Hass und Gewalt. Wir brauchen keine weiteren Spendenaktionen und keine weiteren Benefizkonzerte. Wir brauchen keine Reden von Frank-Walter Steinmeier mehr, an denen jedes Wort richtig ist und die doch folgenlos bleiben. Keine Appelle an eine wache Zivilgesellschaft, der die Mittel fehlen gegen Faschisten mit Pistolen und Gewehren. Wie viele Einzeltäter braucht es, bis niemand mehr den Mut hat, das Muster dahinter zu benennen?

Wie wehrhaft ist unsere Demokratie?

Wie wehrhaft ist denn unsere Demokratie, wenn der Staat nicht einmal jetzt den Kampf aufnimmt? Es ist an der Zeit, das Grundgesetz zu verteidigen – jene Menschen zu verteidigen, deren Würde zu schützen das Ziel aller staatlichen Gewalt sein soll. Das kann niemand anderes leisten als jener Staat, der zu Recht das Gewaltmonopol innehat.

Es ist Zeit für den ganzen kalten, berechnenden Zorn des demokratischen Rechtsstaats. Es ist Zeit für Gesetzesverschärfungen, für Schwerpunktstaatsanwaltschaften, für Sonderkommissionen – für das ganze Instrumentarium, das längst im Einsatz wäre, wäre der Kassler Regierungspräsident Walter Lübcke im Juni 2019 von einem Islamisten ermordet worden!

Wo bleiben die Gesetze, die Gewaltaufrufen und Hassrede Einhalt gebieten? Wo ist der Innenminister, der den Kampf gegen den kriminellen Rechtsextremismus zu seinem Thema macht? Wo ist die Polizeieinheit, die Nazidemonstrationen auflöst und jene in Gewahrsam nimmt, die offen den Hitlergruß zeigen?

Warum können einige (wenige) Leute Beamte bleiben, die schon auf Artikel 1 des Grundgesetzes nicht geloben können, ohne zu lügen, die gerichtsfest Faschisten genannt werden können? Warum können manche von ihnen Recht sprechen, Waffen und Uniform tragen? Wo sind die Verfahren wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung mit anschließender Entlassung aus dem Staatsdienst?

Warum wird nicht längst ein Parteiverbot zumindest für Teile der AfD diskutiert? Wo ist eigentlich der Verfassungsschutz? Ist nicht das, was in einigen Teilen Thüringens, Sachsens geschieht genau das Szenario, für das das Parteiverbot geschaffen wurde?

Und wo bleibt eigentlich das Demokratieförderungsgesetz, das die so wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit gegen den Rechtsextremismus endlich auf eine verlässliche Finanzierungsbasis stellt?

Es ist ein Tag der Wut

Vielleicht übertreibe ich. Aus mir spricht die Wut. Aber es ist ein Tag, um wütend zu sein. Es ist die Wut darüber, dass so schrecklich wenig passiert und wir immer wieder traurig und betroffen sein müssen.

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