Generationenfonds

Gedankenspiel zur finanziellen Stabilisierung des Rentensystems

Dieser Text ist ausdrücklich als ein Gedankenspiel zu verstehen und will noch keine politische Forderung sein. Der Streit der großen Koalition um die „Rentengarantie“ hat das schwelende Problem der gesetzlichen Rente und ihrer langfristigen Finanzierung wieder ins Bewusstsein gerückt. Ich denke hier über die Schaffung eines Staatsfonds nach, um das gesetzliche Rentensystem für zukünftige Generationen zu sichern. Gespeist werden könnte er aus den Einnahmen einer reformierten Erbschaftssteuer, um gleichzeitig ein Moment des sozialen Ausgleichs zu schaffen.

Das Problem: Wie lässt sich die gesetzliche Rente langfristig finanzieren?

Wegen der guten Konjunktur ist die Finanzierung der Rente im Augenblick kein drängendes politisches Problem. Im Gegenteil: Sprudelnde Beitragseinnahmen ermöglichten Leistungsausweitungen, mit denen Gerechtigkeitslücken geschlossen werden sollen („Mütterrente“ – besser: „Erziehungsrente“). Gleichwohl zeigt der Streit um den SPD-Vorstoß für eine „Rentengarantie“, dass das bestehende Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rente allenfalls aufgeschoben ist.

Die gesetzliche Rente ist in Deutschland umlagefinanziert, d.h. die aktuellen Beitragszahler*innen zahlen die Renten der aktuellen Rentner*innen. Dieses System hat den großen Vorteil relativer (Finanzmarkt-)Krisenfestigkeit – im Unterschied zu rein kapitalgedeckten Verfahren. Anfällig ist das System vor allem für demographische Effekte und Krisen des Arbeitsmarkts (z.B. durch technologischen Wandel). Durch den demographischen Wandel müssen immer weniger Beitragszahler*innen für die Renten von immer mehr Rentner*innen aufkommen. Also werden bei schrumpfender Bevölkerung – ohne Eingriffe in das System – die Beiträge steigen oder die gesetzlichen Renten sinken.

Die Antwort darauf bestand eine Zeit lang im Aufbau privater, kapitalgedeckter Altersvorsorge. Die Idee der Kapitaldeckung – also der Finanzierung der Altersversorgung aus angespartem Vermögen und dessen Erträgen – hat den Vorteil größerer Demographie- und Arbeitsmarktfestigkeit. Sie ist auf der anderen Seite – vor allem bei unzureichender Streuung und kurzfristiger Anlagestrategie – anfällig für Kapitalmarktkrisen. Kapitaldeckung war auch die Idee hinter der Einführung der Riesterrente – diese kann allerdings als eher gescheitert gelten. Zu bürokratisch, zu teuer. Aber das grundsätzlichere Problem: Gerade Geringverdienende, die einen zusätzliche Rente besonders nötig hätten, haben schlicht und einfach nicht ausreichend Geld am Monatsende übrig, um in nennenswertem Umfang etwas für das Alter zurückzulegen. Auch für die Mittelschicht bedeutet der Aufbau einer privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge, dass sie in der Gegenwart weitere Mittel zurücklegen müssen. Ein Systemwechsel zu individueller Kapitaldeckung verschärft das Problem der sozialen Spaltung im Alter eher.

Ein gangbarerer Weg sind schon eher Steuerzuschüsse, die die gesetzliche Rente stärken. Sie haben Gerechtigkeitsvorteile, da Steuern oft progressiv ausgestaltet sind und auch Kapitalerträge erfassen. Schon heute ist absehbar, dass der Zuschuss zur Rente aus dem Bundeshaushalt über die Marke von 100 Milliarden Euro im Jahr steigen wird. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt hat 2018 ein Volumen von rund 350 Milliarden Euro. Der Spielraum bei den Steuerzuschüssen ist also endlich.

Vorbild Norwegischer Pensionsfonds

Es liegt also durchaus nahe, den Gedanken hinter der Riester-Rente wieder aufzugreifen. Der Irrtum lag meines Erachtens darin, den Aufbau der Kapitaldeckung individuell zu organisieren. Eine Alternative wäre daher eine kollektive kapitalgedeckte Säule der Altersvorsorge in Form eines Staatsfonds, dessen Erträge in das System der gesetzlichen Rente fließen. Vorbild ist der norwegische Staatsfonds.

Der norwegische Pensionsfonds speist sich u.a. aus den Öleinnahmen des Landes, verwaltet rund 877 Milliarden Euro, erwirtschaftet im langjährigen Durchschnitt eine Rendite von rund 6 Prozent und richtet sich nach ethischen Anlagekriterien. Eine plausible langfristige Zielmarke für einen solchen „Generationenfonds“ in Deutschland wäre die Marke von 2 Billionen Euro. Ein Fonds in diesem Volumen würde im Jahr mit einiger Wahrscheinlichkeit Erträge in Höhe von 100 Milliarden erwirtschaften und die gesetzliche Rente stabilisieren. Der Aufbau eines solches Fonds würde eine erhebliche Kraftanstrengung bedeuten, sollte aber angesichts der rund achtmal so hohen Wirtschaftsleistung Deutschlands im Vergleich zu Norwegen im Bereich des Möglichen sein. Spürbare Effekte wären allerdings wohl auch mit deutlich geringerem Volumen erreichbar.

Finanzierung

Der Aufbau eines Staatsfonds wäre wie gesagt ein Kraftakt, da hierfür Steuereinnahmen in beträchtlichem Umfang „zurückgelegt“ werden müssten. Soll der Aufbau über einen Zeitraum von 30 Jahren erfolgen, würde bei voller Thesaurierung unter Nutzung der Zinseszinseffekte ein jährlicher Betrag von 35 Milliarden Euro (i=5%) mit Sicherheitsmarge ausreichen (rechnerisch reichen 28,7 Mrd. Euro). Sollen die Erträge zwischenzeitlich schon der Rente zufließen, wären nach einfacher Rechnung 67 Milliarden pro Jahr erforderlich.

Hierzu wäre es sicherlich sinnvoll, den bisherigen Steuerzuschuss zur Rente nicht als Festbetrag sondern variabel auszugestalten. In konjunkturell guten Jahren könnten die nicht benötigten Steuerzuschüsse stattdessen dem Generationenfonds zufließen. Da diese Mittel kaum ausreichen würde, wären weitere Finanzquellen erforderlich. Denkbar wäre eines Sonderabgabe ähnlich dem Solidaritätszuschlag. Der Soli erbringt allerdings nur eine Größenordnung von rund 17 Milliarden Euro im Jahr – eine Sonderabgabe müsste also etwa doppelt so hoch ausfallen. Als Weg durchaus gangbar.

Eine attraktivere Option zur Finanzierung eines Generationenfonds sehe ich in der gleichmäßigen Heranziehung großer Vermögen durch eine reformierte Erschaftssteuer. Dies hätte den systematischen Reiz, dass hier privates Vermögen in öffentliches Vermögen umgewandelt würde und nicht einfach „verbraucht“. Außerdem würde hinsichtlich des Vorsorgecharakters von Vermögen ein Instrument des sozialen Ausgleichs installiert. In Deutschland herrscht eine besonders große Ungleichheit der Vermögensverteilung (Gini-Koeffizient von 0,78) – was hinsichtlich der Altersvorsorge umso schwerer wiegt, als hohe Vermögen stark mit hohen Einkommen korrelieren.

Steuersystematisch ist die Erbschafts- und Schenkungssteuer das Instrument der Wahl zu Heranziehung dieser Vermögen , kann doch ein Erbe als leistungsloses Einkommen des Erbenden betrachtet werden. Laut Statistischem Bundesamt werden in Deutschland pro Jahr Vermögen in Höhe von über 100 Milliarden Euro verschenkt und vererbt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt die Summe allerdings auf die vierfache Höhe. Vor diesem Hintergrund ist es schwer verständlich, aus welchem Grund das Aufkommen der Erbschafts- und Schenkungssteuer bei nur knapp sieben Milliarden Euro liegt. Erbschaften werden damit deutlich niedriger besteuert als Einkünfte aus Kapitalvermögen (25 Prozent) oder gar Einkünfte aus Arbeit. Der Grund sind zu großzügige Freibetrags- und Verschonungsregelungen, von denen vor allem die Erbenden großer Vermögen profitieren. Würde es gelingen, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und sich der Gleichbehandlung mit Kapitalerträgen auch nur anzunähern, wäre es durchaus möglich, das erforderliche Steueraufkommen zu erreichen. (Eine Schwierigkeit bestünde darin, dass die Erbschaftssteuer derzeit eine Ländersteuer ist – hier müsste Ersatz geschaffen werden. Vielleicht ist diese Tatsache aber auch ein Grund dafür, dass der Bund das Thema bisher eher stiefmütterlich behandelt.)

Die dafür nötigen Reformanstrenungen sind der Sache nach seit langem bekannt: Stärkere Progression des Steuertarifs auch für leibliche Nachfahren, Gleichbehandlung aller Vermögensarten in Verbindung mit Stundungs- und Ratenzahlungsregelungen, um Immobilien- und Unternehmensvermögen zu erhalten; Einführung eines – nicht zu niedrig anzusetzenden – Freibetrags, der allerdings nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden kann; Streichung der meisten Ausnahmetatbestände. Man müsste es nur wollen.

Alternative zur Bürger*innenversicherung?

Ein solcher Generationenfonds ist nicht als systemische Alternative zum Konzept einer „Bürgerversicherung“ zu verstehen. Eine Bürger*innenversicherung bedeutet zunächst einmal die Verbreiterung der Versicherungspflicht insbesondere auf Selbstständige und Beamt*innen. Das löst bestimmte Probleme wie zum Beispiel das der Altersvorsorge für Selbstständige. Es trägt aber für sich genommen nicht zur Lösung der Finanzierungsproblematik bei. Denn: In Deutschland gilt bisher bei der Rente das Äquivalenzprinzip, d.h. die erhaltene Versicherungsleistung steht in einem festen Verhältnis zu den eingezahlten Beiträgen. Wenn also mehr Personen beitragspflichtig sind, steigt die Leistungspflicht im gleichen Umfang.

Einen stärkeren sozialen Ausgleich brächte eine systemische Umstellung mit einem Abschied von Beitragsbemessungsgrenze und Äquivalenzprinzip. Es würden also alle Arbeitseinkommen der Beitragspflicht unterliegen, wobei der Rentenanspruch nur unterproportional steigen würde. Dadurch würden faktisch hohe Einkommen einen Beitrag zur Finanzierung der Renten von Geringverdiener*innen leisten. Dadurch würde der Effekt gemindert, dass durch ein allgemein sinkendes Rentenniveau gerade Geringverdienende im Alter unter die Armutsschwelle fallen. Für das eigentliche Finanzierungsproblem der Rente, das mutmaßlich viel stärker auch die Mittelschicht betrifft, dürfte eine solche Reform weniger austragen.

Für den ebenfalls gängigen Vorschlag einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit gilt: Sie fängt die Verschiebung von Einzahlungszeitspanne und Leistungsspanne durch eine höhere Lebenserwartung auf. Insofern trägt sie durchaus zur Lösung der Finanzierungsproblematik bei. Das Problem unterschiedlich großer Alterskohorten adressiert sie nicht, wenn man nich die Lebensarbeitszeit stärker steigen lässt als die Lebenserwartung. Keine attraktive Vorstellung.

Es bleibt dabei: Bei durch Demographie sinkenden Beitragseinnahmen und steigenden Rentenausgaben muss irgendwoher mehr Geld ins System.

Sozialwende BGE?

Ist ein Grundeinkommen das bessere Sozialtransfermodell?

Als Delegierter der GRÜNEN „Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen“ Niedersachsen durfte ich am ersten Dezemberwochenende 2017 an der Sitzung des Bundesarbeitsgemeinschaft teilnehmen. Hauptthema war die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), das allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von ihrer Bedürftigkeit oder etwaigen Vorleistungen monatlich zur Verfügung steht. Vehemente BefürworterInnen stehen da vehementen GegnerInnen gegenüber – in der BAG waren erstere wahrnehmbarer. Ich möchte hier nicht die Diskussion in ihrem Verlauf wiedergeben sondern erläutern, wie ich von einem vorsichtigen Befürworter zu einem Skeptiker wurde. Zum Ende hin beschreibe ich, welche Richtung ich sozialpolitisch grundsätzlich für geeigneter hielte, um den beschriebenen Problemen des Sozialstaats zu begegnen.

Argumente für ein Grundeinkommen

Für viele BefürworterInnen wäre ein Grundeinkommen eine „silver bullet“, die auf einen Schlag einige große Probleme des real existierenden Sozialstaats lösen würde. Hier scheint es vor allem drei Argumentationslinien zu geben:

1. Freiheit und Würde

Das vielleicht interessanteste Argument für ein Grundeinkommen ist ein philosophisches: Indem das Grundeinkommen den faktischen Zwang zur Erwerbsarbeit aufhebt, ist es die Grundbedingung für eine freie Lebensgestaltung. Dies kommt ganz konkret darin zum Ausdruck, dass als entwürdigend empfundene Bedürftigkeitsprüfungen z.B. im Jobcenter entfallen. Vielmehr ist die Hoffnung, dass die Freiheit arbeiten zu können – anstatt es zu müssen – kreative und unternehmerische Kräfte freisetzt.

2. Einfachheit und Bürokratiearmut

Ein zweites wesentliches Argument ist, dass durch die Einfachheit des Grundeinkommens große Teile der bisherigen Sozialbürokratie entfallen könnten. Überdies wäre das System weniger missbrauchsanfällig

3. Wegfallen von Fehlanreizen

Das dritte Argument betrifft vor allem ein Problem unseres gegenwärtigen Transfermodells: Durch den Wegfall von Sozialtransfers sowie die einsetzenden Steuern und Abgaben lohnt sich eine Arbeitsaufnahme oftmals nicht. Gerade für niedriger Qualifizierte, kann es einen Anreiz gegen die Arbeitsaufnahme bieten. Ein Grundeinkommen hat solche Fehlanreize nicht.

Extremfall der wechselnden Grenzbelastungen bei steigendem Bruttoeinkommen

Banale Erkenntnis: Es kommt auf die Ausgestaltung an

Es ist wichtig, bei der Diskussion über ein Grundeinkommen konkrete Modelle zu diskutieren. Ob bestimmte positive Auswirkungen erreichbar sind und wie stark bestimmte Risiken wirken, hängt wesentlich an drei Stellschrauben.

1. Höhe des Grundeinkommens

Die wichtigste Stellschraube ist sicherlich die Höhe eines Grundeinkommens. Es macht einen zentralen Unterschied, ob man nur bisherige Sozialleistungen neu verteilt und bei einer Höhe von rund 200€ landet, ob man mit 500€ versucht, ein Existenzminimum zu sichern oder man mit über 1000€ die Armut abschafft. Während ersteres sicherlich problemlos finanzierbar wäre, wäre es auch gleichbedeutend mit der faktischen Abschaffung des existenzsichernden Sozialstaates – und würde damit die wesentliche Hoffnung in ein Grundeinkommen gerade nicht erfüllen. Ein armutsfestes Grundeinkommen hingegen steht – wie wir unten sehen – vor großen Finanzierungsschwierigkeiten.

2. Verhältnis zu bisherigen Sozialleistungen

Eine weitere wichtige Frage ist, inwiefern ein Grundeinkommen bisherige Sozialleistungen ersetzt. Für die Grundsicherung nach ALGII ist diese Frage noch recht einfach zu beantworten. Aber was ist mit dem Wohngeld – bzw. den Kosten der Unterkunft -, das ja aus gutem Grund in unterschiedlichen Orten unterschiedlich hoch ist? Was ist mit der Arbeitslosenversicherung und der Rente, deren Zweck die (teilweise) Sicherung des Lebensstandards ist? Was ist mit Sonderleistungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen? Ein sozialpolitisch interessierter Mensch, wird solche Leistungen nicht abschaffen wollen. Dadurch entfällt aber eine Möglichkeit zur Gegenfinanzierung.

3. Gegenfinanzierung

Für die Gegenfinanzierung des erheblichen Finanzbedarfs eines Grundeinkommens gibt es genau zwei Möglichkeiten: Das Ersetzen bisheriger (Sozial-)Leistungen und die Erhebung zusätzlicher Steuern. Die Art der Gegenfinanzierung, vor allem die Ausgestaltung des Steuermodells, hat wesentliche Auswirkungen auf die Verteilungswirkung eines Grundeinkommens und mutmaßlich z.B. auf das Arbeitsangebot der Haushalte – Stichwort Fachkräftemangel. Dazu später mehr.

Schattenseite: Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles

1. Ein Grundeinkommen ist teuer

Ein zentrales Problem anspruchsvoller Grundeinkommensmodelle ist ihre Finanzierbarkeit. Zu Veranschaulichung: Ein Grundeinkommen von jährlich 10 000 Euro (ca. 833€/Monat) für jede Person in Deutschland kostet pro Jahr rund 800 Milliarden Euro. Das gesamte Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden beläuft sich derzeit auf zusammen rund 600 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen zwar noch die Einnahmen der Sozialversicherungen in ähnlicher Höhe, die jedoch für Zwecke wie Rente, Krankenversicherung etc. gebunden sind. Es ist also ohne genauere Rechnung einleuchtend, dass deutliche Abstriche bei Leistungen und/oder sehr deutliche Steuererhöhungen erforderlich wären, um ein Grundeinkommen im Haushalt darzustellen.

2. Gerechtigkeit und Verteilungswirkung

Ein oft verwendetes Argument gegen ein Grundeinkommen ist, dass ein leistungsloser Transfer, der auch Besserverdienende erreicht, als unfair empfunden wird. Dieses Argument ist nicht stichhaltig, da es die Finanzierungsseite des BGE außer Acht lässt. Wenn man annimmt, dass ein BGE in der Hauptsache über höhere Einkommenssteuern zu finanzieren wären (andere Finanzierungsweisen kommen nicht wirklich in Betracht), kann nicht von einer Besserstellung Wohlhabender gesprochen werden. Vielmehr hätten sie mit einiger Wahrscheinlichkeit die Hauptlast der Transfers zu tragen – wobei „Wohlhabende“ hier nicht nur Einkommensmillionäre meint sondern auf gut ausgebildete Fachkräfte anzuwenden wäre (Das müssten andere mal ausrechnen).

Stichhaltiger ist eine Kritik, die die Verteilungswirkung eines BGE mit der Verteilungswirkung bedürftigkeitsorientierter Transfers vergleicht. Da das Grundeinkommen einen deutlich geringeren Einfluss auf die Einkommensverteilung hat als gezielte Transfers, liegt die Hauptlast beim Ausgleich der Einkommensungleichheit auf dem Steuersystem. Für die gleiche Verteilungswirkung bräuchte man eine deutliche höhere Staatsquote und deutlich höhere Spitzensteuersätze. In der Folge kann ein Grundeinkommensmodell, das aus Verteilungsgründen durch ein stark progressives Steuermodell gegenfinanziert wird, das Arbeitsangebot Höherqualifizierter senken und einen eventuellen Fachkräftemangel verschärfen.

Zur Verdeutlichung am stark reduzierten Modell: Ich habe drei Personen, von denen Person A 50 Euro, Person B 100 Euro und Person C 150 Euro verdient. Mal angenommen, das politische Ziel wäre eine absolute Gleichverteilung der Einkommen: Um sie zu erzielen, kann ich mit einem gezielten Sozialtransfer Person C mit 50 Euro besteuern und diese 50 Euro als Transfer an Person A geben. Um die gleiche Verteilung mit einem Grundeinkommensmodell zu erzielen, muss ich Person C mit 100 Euro und Person B mit 50 Euro besteuern, um allen drei Personen ein Grundeinkommen von 50 Euro auszuzahlen. Ich habe also eine dreimal so hohe Staatsquote und deutlich höhere Steuersätze. Diese hohen Steuersätze könnten wiederum erhebliche Auswirkungen auf das zukünftige Verhalten von Person C haben. Wahrscheinlich würde C weniger arbeiten.

Der Effekt auf die Verteilungswirkung ist gerade für Deutschland von großer Bedeutung, da hier der Unterschied der Verteilung der Bruttolöhne zur Verteilung der Löhne nach Steuern und Transfers recht groß ist.

Die Bruttoeinkommen sind in Deutschland ähnlich ungleich verteilt wie in den USA. Nach Steuern und Transfers liegt das Land deutlich unter dem OECD-Schnitt.

3. Auswirkungen auf Arbeitsangebot und Lohngefüge

Im Vergleich zu den Auswirkungen am oberen Ende der Lohnskala sind die Auswirkungen im Niedriglohnbereich schwer zu beurteilen. Einerseits ist es vorstellbar, dass die Löhne in bestimmten, eher attraktiven Berufen weiter sinken oder die entsprechenden Berufe durch weniger qualifizierte Ehrenamtliche verdrängt werden. Auf der anderen Seite könnten die Löhne in eher unattraktiven aber notwendigen Berufen steigen, da weniger Menschen materiell auf ihre Ausübung angewiesen sind. Welcher Effekt bei welchen Berufen überwiegt, ist derzeit nicht absehbar. Er könnte aber große volkswirtschaftliche Auswirkungen haben.

Ein Negativszenario würde so aussehen, dass unter einem BGE deutlich weniger Personen bereit sind, im körperlich und emotional anstrengenden Pflegebereich zu arbeiten. Die Löhne könnten steigen, das Angebot zurückgehen, so dass deutlich mehr Menschen ihre Angehörigen „ehrenamtlich“ pflegen müssen.

Fazit: Vielleicht ist das Grundeinkommen doch keine „silver bullet“

Schafft ein Grundeinkommen Freiheit? Mag sein. Existentialphilosophisch ist bei dieser Grundannahme ein kleines Fragezeichen angemessen. Für viele Menschen mag es gerade Sinn stiftend sein, sich den Lebensunterhalt mit der eigenen Hände Arbeit zu verdienen. „Der Kampf gegen den Felsen kann ein Menschenherz ausfüllen“, schrieb Albert Camus. Ob es diesen Menschen Würde verleiht, wenn man ihnen den Stolz auf die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts nimmt? Zumindest leichte Zweifel an der Grundthese vieler BGE-Befürworter sind angebracht. Trotzdem hat sie eine hohe Plausibilität.

Das Problem jedes Grundeinkommensmodells liegt wie oben beschrieben in seiner Verteilungswirkung. Durch die relative Gleichverteilung der Transfers muss man entweder mit größerer Ungleichheit und einer unter dem Strich Schlechterstellung der Niedrigverdiener leben oder deutlich höhere Staatsquoten und Steuersätze in Kauf nehmen als heute. Hinzu kommen die unabsehbaren Auswirkungen auf Arbeitsangebot und Lohngefüge.

„For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong.“

Die Diagnose der Grundeinkommens-BefürworterInnen ist richtig: Das derzeitige Transfersystem ist teilweise entwürdigend, bestraft Eigeninitiative und ist – Beispiel Bildungs- und Teilhabepaket – deutlich zu bürokratisch. Es eröffnet deutlich zu wenige Chancen und ist selbst in seiner Verteilungswirkung stellenweise kontraproduktiv (Stichwort: Kinderfreibetrag). Nur erscheint ein Grundeinkommen nicht als besonders geeignetes Instrument zu ihrer Lösung, weil es ein anderes großes Problem deutlich schlechter adressiert: Die Ungleichverteilung der Einkommen.

Daraus ergeben sich zwei Aufgaben für grüne Sozial- und Steuerpolitik, die ich in der Kombination für deutlich wirksamer halte als einen Systemwechsel:

1. Vereinfachung und Vereinheitlichung des Transfersystems, insbesondere hinsichtlich der Transferentzugsraten

Die dringendste Aufgabe bestünde in einer Reform von Sozialtransfers (einschließlich Steuerfreibeträgen, Kindergeld, BaFöG und dergleichen) mit dem Ziel, wo möglich Instrumente zusammenzufassen und hinsichtlich der Höhe und relevanter Schwellenbeträge aufeinander abzustimmen. Insbesondere bürokratische Instrumente wie das Bildungs- und Teilhabepaket wären in andere Pauschalen zu integrieren. Vereinzelt möglicher Missbrauch wäre m.E. unproblematisch. In diesem Zug wäre die Transferentzugsrate (unter Einschluss von Steuern und Sozialabgaben) zu vereinheitlichen – und zwar in dem Sinne, dass mit steigendem Bruttoeinkommen die Transfers allmählich sinken und keine Sprungstellen auftreten. Dadurch wäre eine Arbeitsaufnahme in jedem Fall vorteilhaft und das System insgesamt in seinen Auswirkungen besser zu durchschauen. (In diesem Zuge wäre auch ein realitätsnäherer Umgang mit Vermögen möglich. Mein Vorschlag wäre, anstatt jedes Vermögen sofort anzurechnen, nur einen bestimmten Teil des Vermögens oberhalb einer bestimmten Schwelle verbrauchen zu lassen, so dass z.B. der zwanzigste Teil entsprechend der generellen Transferentzugsrate anzurechnen wäre.)

2. Abbau von Restriktionen und schikanösen Bedürftigkeitssprüfungen

Der zweite Punkt bestünde darin, bestimmte Restriktionen und Bedürftigkeitsprüfungen zu lockern und den Zugang zu Transfers zu erleichtern – mit dem Ziel einerseits den BezieherInnen und SachbearbeiterInnen das Leben zu erleichtern, andererseits aber einen flexibleren Einsatz der Instrumente im Sinne eines Chancen-eröffnenden Sozialstaats zu ermöglichen.

Beispiele hierfür wären ein deutlich erleichterter Zugang zu Arbeitslosengeld I oder II bei Unternehmensgründung oder während bestimmter Ausbildungen (zum Beispiel kann gegenwärtig während eines Studiums unter keinen Umständen ALG gezahlt werden. Warum eigentlich nicht?). In eine ähnliche Stoßrichtung liefe die Flexibilisierung des Zugangs zu BaFöG, um beispielsweise auch berufliche Neuorientierungen und Zweitausbildungen zu ermöglichen.

Diese beiden Punkte: Vereinfachung und Vereinheitlichung des Transfersystems sowie Flexibilisierung von Transferleistungen im Sinne eines Chancen-eröffnenden Sozialstaats mögen wenig ambitioniert klingen im Vergleich zur sozialpolitischen Revolution eines bedingungslosen Grundeinkommens. Es handelt sich jedoch um wirkliche Großreformen, die eher komplexer sind als die Hartz-Reformen – wenn sie auch in genau die andere Richtung gehen – und der ausführlichen Vorarbeit durch die Fachkommission bedürften. Für grüne Sozialpolitik wäre es meines Erachtens eine attraktive Zielvorstellung, die deutlich über das sonst übliche Sammelsurium von Einzelmaßnahmen hinausgeht.