Wir haben es verkackt

EDIT: Ich hatte den Text zwischenzeitlich auf „privat“ gestellt, nachdem ich auf interne Aufarbeitungsprozesse hingewiesen wurde, die ich vorher noch nicht kannte. Nachdem jetzt teilweise Presse berichtet hat, habe ich ihn wieder online gestellt, damit Menschen nachlesen können, was ich wirklich gesagt habe.

Nach dem Wahlergebnis der GRÜNEN am Sonntag musste ich meinem Ärger mal Luft machen. Wenn die einen über Koalitionen spekulieren und andere wieder über die Kandidatin reden, finde ich: Wir müssen über diesen Wahlkampf sprechen.

Nach den Bundestagswahlen reden wir bei den GRÜNEN viel über Personen und Koalitionen. Wir sollten auch über Wahlkampf reden.

„Haben die GRÜNEN eine historische Chance verspielt?“ fragte der Moderator im SPIEGEL-Podcast „Stimmenfang“ von 23. September die eingeladene Expertin Melanie Amann. „Ich denk, ja. So einfach ist es“, antwortete diese sinngemäß.

Ich bin stinksauer. Mit 14,8 Prozent der Stimmen erzielten die GRÜNEN bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 zwar das beste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte, blieben aber deutlich hinter dem zurück, was möglich – und angesichts der historischen Herausforderungen v.a. des Klimawandels auch erforderlich – gewesen wäre. Denn im langfristigen Trend der Prognosen zwischen 2019 und 2021 bewegte die Partei sich im Korridor zwischen 20 und 25 Prozent. Teilweise als stärkste Kraft. Das war die Zielmarke. Wir müssen über den Wahlkampf reden – auch wenn sehr viele nun vor allem über Koalitionen reden wollen.

Nun weiß man es hinterher immer besser. Es ist sehr leicht, vom Spielfeldrand alles besser zu wissen. Aber vielleicht ist es diesem – um in der Fußballmetaphorik zu bleiben – Kreisklassentrainer ja erlaubt auszusprechen, was allen klar ist: Wir hatten es in der Hand und wir haben es – ganz nüchtern gesprochen – verkackt.

Die falsche Kandidatin?

Die naheliegende Erklärung, wir hätten schlicht die falsche Kandidatin nominiert, greift mir zu kurz – auch wenn eine junge Person ohne Exekutiverfahrung und mit Wahlerfolgen vor allem in der eigenen Partei eine sicherlich mutige Entscheidung war. Aber keine Mannschaft verliert nur wegen der Mittelstürmerin. In der Situation der Nominierung im April schien die Entscheidung jedenfalls nicht als Fehler und die sehr starke Leistung von Annalena Baerbock in den drei Triellen und anderen TV-Auftritten haben die Qualität der Kandidatin eindrucksvoll gezeigt.

Es ist heute unmöglich zu sagen, ob der Wahlkampf mit Robert Habeck als Kanzlerkandidaten grundlegend anders verlaufen wäre. Auch Robert macht Fehler, die ein politischer Gegner ausschlachten kann und bei denen man eine überzeugende Gegenstrategie hätte haben müssen (die wir nicht hatten). Und wenn man so weit in die hypothetischen Überlegungen geht, müsste man ja auch darüber nachdenken, ob man im grünen Selbstverständnis nicht konsequent auf diese Zuspitzung auf eine Person hätte verzichten müssen. Dann hätte man von der Dynamik und dem Zusammenspiel des Duos profitieren können – so überlegte nachdenkenswert der frühere CDU-Wahlkämpfer und Strategieberater Joachim Koschnicke im p&k Wahlcamp.

Was aber – glaube ich – gesagt werden muss: Für die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wäre ein deutlich besserer Wahlkampf möglich gewesen. Und auch einen Kandidaten Habeck hätten wir meiner Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlissen. [EDIT] Es geht mir nicht um eine Kritik an Annalena Baerbock als Person oder als Wahlkämpferin. Es geht um die Kampagne. [/EDIT]

Unsere anfängliche Situationsbeschreibung war naiv

Der grundlegende Fehler dieses Wahlkampfs lag dem Augenschein nach schon in der anfänglichen Situationsanalyse. So beschrieb Ulrich Schulte in der taz vom 02. 09. 2021 am Rande in einem Satz, wie ich die Grundannahmen der grünen Kampagne wahrgenommen habe:

„Die Gesellschaft ist weiter, als die Große Koalition denkt, glaubt die Grünen-Spitze. Es brauche nur einen Stupser, dann beginne die ökosoziale Wende von selbst. Bereit, weil ihr es seid.“

Die gesellschaftliche Hegemonie als reife Frucht, die nur eines kleinen Stubsers bedarf, um in den geöffneten Mund grüner Parteistrategen zu fallen? Zumindest würde die Kampagne eine solche Wirklichkeitssicht nahelegen. Es ist ein ähnlicher Fehler in der Analyse, wie wir ihn in der Bundestagswahlkampagne 2013 (unvergessen die „Deutschland-Ist-Erneuerbar-Tour“) gemacht haben und wie er hinterher vom damaligen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin klar analysiert wurde.

Die SPD wurde 2021 bereits am Boden gesehen – ihre Ablösung als Volkspartei der linken Mitte nicht als Ziel der Kampagne, sondern als deren Voraussetzung. Man setzte auf eine Zweikampfsituation mit der CDU, die wie von selbst dazu führen würde, die Stimmen des gemäßigt linken Lagers auf sich zu vereinen. Schließlich hatte man unter solchen Effekten selbst oft genug gelitten. Und hat es am Ende wieder.

Folge war dem Augenschein nach eine Kampagne, die ihre eigentliche kommunikative Aufgabe – die öffentliche Begründung des Machtanspruchs – dem Zeitgeist überlassen wollte. Bloß nicht polarisieren und damit Wähler*innen vergraulen. Wahlkampf im Instagram-Modus. Wesentlicher Teil davon war die mangelnde Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Weder hatten wir eine überzeugende Antwort auf die Angriffe gegen unsere Kanzlerkandidatin, noch eine eigene Angriffsstrategie. Anders ausgedrückt: Wenn man den expliziten Anspruch hat, die Union herauszufordern, sollte man nicht gleichzeitig Signale in die Richtung senden, am liebsten als Juniorpartner der Union in die Regierung einzusteigen.

Wir hatten keine überzeugende Wahlkampfstrategie

Der zweite größere Fehler gründete vielleicht in der umjubelten Kandidat*innenvorstellung im April 2021 – fünf Monate vor der Wahl. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste auch die Partei nicht, auf wen es hinauslaufen würde. (sic!) Der Zeitpunkt war zu spät, um die Kampagne organisatorisch und inhaltlich auf die Person an der Spitze zuzuschneiden. Um es klar zu sagen: Für die Kampagnenplanung ist eine solche Zeitplanung der reine Wahnsinn! (An dieser Stellen einen herzlichen Gruß an Martin Schulz und die SPD von vor vier Jahren.) Hinzu kam, dass augenscheinlich mit der Entscheidung nach außen die Führungsfrage nach innen nicht entschieden war. Stichwort: Teamlösung.

In der Folge hat die grüne Kampagne an keinem Punkt ein starkes Themen- und Kandidat*innenprofil jenseits des Klimathemas entwickelt. Die entscheidenden Fragen für eine Partei in der Herausforderer*innenposition haben wir nicht beantwortet: 1. Was läuft gerade falsch? 2. Wie muss es besser laufen? 3. Warum sind wir dafür die Richtigen? Und dabei ganz wichtig: Was hat das mit dir, liebe Wähler*in, zu tun? Nicht in den Printmaterialien, nicht in den Plakaten, nicht im Werbespot oder den Onlineanzeigen und leider auch nicht in Reden und Interviews.

Es mischten sich eine Annalena-Erzählung (Erneuerung), eine Robert-Erzählung (linker Patriotismus und Republikanismus) und das klassisch Grüne (für alles Gute und gegen das Böse). Eine solche Vielstimmigkeit, die parteiintern als etwas Gutes gesehen wird, bewirkt in der Außenkommunikation, dass keine der Botschaften durchdringt. Kaum erzählt wurde nach meiner Wahrnehmung übrigens der oben in der Analyse durchscheinende Narrativ vom Ergrünen der Gesellschaft – also dem Siegeszug grüner Themen in der viel zitierten gesellschaftlichen Mitte. Dies alles für spricht mangelnde Strategiefähigkeit. (Ebenso die mangelnde Fähigkeit, in der sich verschlechternden Situation vor der Wahl auf eine rot-grüne Koalitionsaussage zu setzen, um wenigstens das Abwandern taktischer Wähler*innen zur SPD zu verhindern.)

Zudem ist der Narrativ von Aufbruch und Erneuerung, der sich zunehmend als Kern der grünen Erzählung herausschälte, ein voraussetzungsreicher. Er setzt eine Unzufriedenheit der gesellschaftlichen Mehrheit mit dem Status Quo voraus. In einem Land, in dem die scheidende Bundeskanzlerin nach 16 Jahren Regierung Zustimmungswerte von 64 Prozent genießt, ist das eine durchaus… mutige Entscheidung. Und man muss sich fragen, ob diese Aufbruchserzählung zumindest handwerklich gut auserwählt (ausgewählt, auserwählt klingt in dem Kontext zu esoterisch) wurde. War der Wahlkampf einer, der von mutigen Ideen und kühnen Visionen lebte?

Wir haben stellenweise schlicht das Handwerk nicht beherrscht

Womit das Stichwort der handwerklichen Fehler gefallen wäre. Sie stellten nicht nur je für sich genommen ein Problem dar, sondern zusammengenommen den erklärten Anspruch der Kampagne (Wir sind bereit) fundamental in Frage.

Augenfällig sind die bekannten Stockfehler von Lebenslauf bis Buchprojekt, die vor allem davon künden, dass es der Annalena-Kampagne an Vorbereitungszeit mangelte und dass im entscheidenden Moment keine leistungsfähigen Strukturen aufgebaut waren, in die die Kandidatin Vertrauen gehabt hätte. Siehe oben zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung.

Auf der anderen Seite hat die Kampagne kaum daran gearbeitet, die Kandidatin als Führungspersönlichkeit zu profilieren. Wir haben erkennbar wenig dafür getan, Annalena als eine Person zu zeigen, die potenziell fähig sein kann, eine Regierung zu führen (Das Übliche: Bilder im Berater*innenkreis, Auslandsbesuche, betont staatstragende Wortbeiträge etc.) – und so die offensichtliche Schwäche der Kandidatin zu kompensieren. Hier fehlt es den GRÜNEN vielleicht an der Erfahrung mit Personenwahlkämpfen: Anstatt die Kandidatin zum Leuchten zu bringen und nach oben zu ziehen, hatte die Kampagne eher den Anspruch, die Kandidatin möge die Kampagne ziehen. Anstatt eine Kampagne von ihren objektiven Stärken und Schwächen her zu planen, wurde sie als Galionsfigur auf eine bestehende Kampagne gesetzt. So machen wir seit jeher Wahlkampf, wo wir sowieso keine Chance auf das Direktmandat oder das Bürgermeister*innenamt zu haben glauben.

Weniger geredet wird über eine schwache Plakatkampagne, die im Kern aus zehn sehr ähnlich aussehenden Themenplakaten mit Texten von hoher Allgemeinheit bestand. Eine politische Botschaft war der Plakatkampagne nicht zu entnehmen und der Kontrast zwischen weißer Schrift und hellem grün war so gering, dass die Plakate aus 50 Metern Entfernung nicht mehr zu lesen waren. Die anfänglich positiven Bewertungen der Plakatlinie haben mich schon damals sehr gewundert.

Zu reden wäre auch über das gedruckte Wahlkampfmaterial für den Einsatz an Ständen und im Haustürwahlkampf. Hier fehlte für mein Empfinden ein klares Konzept, welches Material für welchen konkreten Zweck im Wahlkampf konzipiert ist (mit Ausnahme des Haustürwahlkampfflyers). Ich meine: In welchem konkreten Szenario wird ein Material eingesetzt und welche Botschaft transportiert es? Und was waren eigentlich unsere drei inhaltlichen Kernforderungen, die jede*r am Ende benennen konnte?

Und da war ein erster Werbespot, der im positiven Sinne mutig war im Rückgriff auf nationales Liedgut und dem klaren Willen, Milieugrenzen zu sprengen. Ich mochte diesen Spot. Das Video wirkte aber nicht wie ein Teil der Gesamtkampagne, sondern stand für sich. Ein Entschlüsseln des anspielungsreichen Spots war weder von den Plakaten her möglich noch von den Reden der Kanzlerkandidatin her – sondern vielleicht am ehesten aus den Büchern von Robert Habeck und der Sozialtheorie von Armin Nassehi. Auch hatte der Inhalt des Spots nichts mit dem Wahlkampfclaim zu tun und stand mit diesem in keiner erkennbaren Beziehung. Zu dem Claim „Bereit, weil ihr es seid“ hätte man eine Geschichte von der Staatsparteiwerdung der Grünen und der Grünwerdung der Gesellschaft erzählen können. Auch diese Inkongruenz ist ein echter handwerklicher Fehler.

Was tun?

Wir sollten nicht auf den Gedanken kommen, auf Grund dieses Ergebnisses die Prozesse der thematischen Verbreiterung und der gesellschaftlichen Öffnung zurück abzuwickeln. Wenn nach der Flutkatastrophe in NRW das Klimathema nur für ein Ergebnis von knapp 15 Prozent gereicht hat, ist das der Korridor. Wer Mehrheiten für eine sozial-ökologische Politik gewinnen will, muss breiter ansetzen.

Aber die Kampagnenplanung für die nächste Bundestagswahl muss meiner Meinung nach deutlich früher und mit einer diesmal realistischen Bestandsaufnahme beginnen. Und wir müssen die Fähigkeit entwickeln, bundesweite Kampagnen von Personen her zu entwickeln und konsistent zu führen. Strategisch und strukturell. Dann kann es in vier Jahren anders ausgehen.

Und in der Zwischenzeit: Eine stabile Regierung bilden, gut regieren, das Klima (ein bisschen) retten. Nichts einfacher als das.

Die Kommunalwahl 2016

Einige unbewiesene Thesen zur Diskussionsanregung

Manchmal braucht es einen Schuss vor den Bug, bis man merkt, dass man in die falsche Richtung fährt. Bei der Kommunalwahl am 11. September 2016 haben wir GRÜNE im Landkreis Göttingen 12,8% der Stimmen bekommen und damit 4,5 Prozentpunkte gegenüber unserer historisch besten Wahl im Jahr 2011 verloren. Damit liegen wir noch im Landesschnitt. Trotzdem sind viele unserer Mitglieder nicht zufrieden mit dem Ergebnis – immerhin haben wir einen großen Teil der Stimmzuwächse des historischen Fukushima-Ergebnis wieder eingebüßt. Unser Potenzial liegt also höher.

Am 19. November haben wir im Grünen Zentrum auf einem Workshop den Blick nach vorn gerichtet: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus dem Wahlergebnis? Und was werden wir in den kommenden Jahren besser machen? Ich habe einige persönlichen Erkenntnisse aus diesem Workshop – und die Ergebnisse aus meiner Beschäftigung mit dem Wahlergebnis davor – mal zu sieben vollkommen subjektiven, vollkommen unbewiesenen Thesen zur Diskussion destilliert:

1. Die politische Rolle der GRÜNEN hat sich gewandelt

Dass uns heute der Vorwurf der moralischen Überheblichkeit ereilt, mutet mit Blick auf die Haltung der Anfangstage etwas seltsam an. Am Anfang ihrer politischen Geschichte waren die GRÜNEN eine Protest- und Oppositionspartei. Damals genügte es, eine bestimmte Haltung und Einstellung mit dem Duktus des höheren politischen Moral zu vertreten, um politischen Erfolg zu haben. Spätestens 1998 wurden wir aber zu einer Regierungspartei, die ihr Anliegen in praktische Politik umsetzten. Wir haben gelernt und verinnerlicht, in der Politik praktische Kompromisse zu schließen und pragmatisch zu agieren. Als kleiner Regierungspartner, „Kellner“, waren wir allerdings von der Notwendigkeit befreit, um gesellschaftliche Mehrheiten für unsere Politik ringen zu müssen. Das war und ist das traditionelle Metier der so genannten „Volksparteien“ – denen es freilich immer weniger gelingt.

Seit unserem Wahlsieg 2011 und u.a. dem Einzug in die Baden-Württembergische Staatskanzlei hat sich etwas an dem Anspruch an unsere Politik geändert – ob uns das gefällt oder nicht. GRÜNE sollen nicht mehr nur ihre politischen Inhalte in praktische Politik umsetzen sondern um gesellschaftliche Mehrheiten für ihre Politik ringen. Von ihnen wird nicht mehr nur eine überzeugende Umwelt-, Sozial und Menschenrechtspolitik erwartet – sondern ein politischer Gesamtentwurf, der nicht nur auf ihre eigene Perspektive zielt sondern die unterschiedlichen Perspektiven einer komplexer gewordenen Gesellschaft im Blick hat. Und wenn sie diese Erwartungen enttäuschen, bekommen sie die Quittung – zumal sie als mittelgroße Partei unter schärferer Beobachtung des politischen Gegners stehen. Man kann darin einen Verlust der Unschuld der Jugendtage sehen und es als Etablierung beklagen – oder man sieht darin einen sehr, sehr demokratischen Vorgang.

2. Intakte Ortsverbände führen zu guten Wahlergebnissen

Eine zunächst sehr banal Erkenntnis der Wahlauswertung: Starke und aktive Ortsverbände haben einen unmittelbar positiven Einfluss auf das Wahlergebnis. Gegen die gelegentlich zu hörende These, gewählt werde sowieso nach Bundestrend, sprechen die großen Unterschiede in den Entwicklungen einzelner Wahlbereiche. Im Kontext der These von unserer neuen kommunikativen Aufgabe legt sich nahe: Präsente und aktive Ortsverbände führen zu guten Wahlergebnissen, weil durch sie die Partei in den Orten verankert ist, weil sie einen großen Beitrag zu praktischen Vermittlung GRÜNER Politik leisten.

Für den Kreisverband bedeutet das, dass insbesondere außerhalb der Wahlkampfzeit eine seiner Aufgaben ist, die Ortsverbände in ihrer politischen Arbeit zu unterstützen. Dabei steht die Unterstützung lebendigen Parteilebens im Zentrum, aber auch die Unterstützung bei der Lösung von Konflikten oder z.B. der Gestaltung des Generationenwechsels.

3. Mobilisierung entscheidet Wahlen – Dialog bestimmt Politik

Die SPD hat bei den vergangenen Wahlen in Göttingen stark von einer gestiegenen Wahlbeteiligung profitiert und damit gezeigt: Kommunalwahlen werden – mehr noch als andere Wahlen – durch Mobilisierung entschieden. Das bedeutet für uns, dass wir in zukünftigen Wahlkämpfen nicht in erster Linie versuchen sollten, Menschen aus anderen politischen Lagern zu überzeugen. In der zugespitzten Situation des Wahlkampfs geht es in erster Linie darum, den eigenen AnhängerInnen und SympathisantInnen einen Grund zu geben, am Wahltag für uns zu den Urnen zu gehen.

Außerhalb der Wahlkämpfe muss dagegen die dialogische Überzeugungsarbeit im Vordergrund stehen. Das bedeutet – wenig innovativ – das geduldige Zuhören und selbstbewusste Erklären und Begründen der eigenen Politik. Aber das das ganze Jahr die Wählerinnen und Wähler mit steilen Thesen vor den Kopf zu stoßen, um dann drei Monate vor der Wahl auf Dialogwahlkampf und möglichst wenig Angriffsfläche zu setzen: Das funktioniert in der Tendenz eher nicht.

4. Personen transportieren Politik oft besser als Flugblätter

Personen spielen eine große Rolle für die Wahlentscheidung – gerade dort wo es keine wahlentscheidenden Themen gibt. Sie sind gewissermaßen die „Beziehungsebene“ in der politischen Kommunikation. Es ist kein Zufall, dass in westlichen politischen Systemen Personen eine so große Rolle spielen – bis hin zum persönlichen Mandat.

Der kommunikative Nutzen von Personen ist groß: Sie verkörpern – gut profiliert – eine Grundrichtung der Politik und ermöglichen Wahlentscheidungen ohne Kenntnis programmatischer Einzelheiten – mit allen Problemen, die ein unredlicher Gebrauch dieses Instruments mit sich bringt. Für uns GRÜNE ist Personalisierung eine bisher zu wenig genutzte Ressource. Das gilt vor allem für glaubwürdige und kompetente GRÜNE Politiker vor Ort.

Wir GRÜNE haben traditionell ein kritisches Verhältnis zu Personen und zur Personalisierung. Wir betrachten starke Personen tendenziell als vor-demokratisches Relikt und Gefahr für die innerparteiliche Basisdemokratie. Man kann das mit guten demokratietheoretischen Gründen allerdings auch anders sehen: Nur Personen können im ethischen Sinn Träger von Verantwortung sein. In anonymen Gruppen, in Mengen und Massen ist niemand verantwortlich, was am Ende passiert.

5. Konflikt ist Trumpf

Eine Verwaltung arbeitet dann gut, wenn sie möglichst geräuschlos und ohne größere Konflikte ihre Agenda umsetzt. In der Politik ist es tendenziell genau andersherum: Konflikt ist die Voraussetzung dafür, dass politische Willensbildung überhaupt stattfindet. Die Funktion von Parteipolitik in einer demokratischen Ordnung ist es, Orientierung zu geben und eine (Wahl-)Entscheidung zu ermöglichen. Erst in der Auseinandersetzung wird ein Thema (oder auch mal eine Person) zum Thema, für dass sie das politische Interesse lohnt. Der Kampf gegen Umgehungsstraßen im OV Untereichsfeld ist ein gutes Beispiel dafür, dass Konflikt mobilisiert – auch wenn man am Ende wenig Erfolgsaussichten hat. Genauso hat unser – erfolgreicher – Kampf gegen den Golfplatz südlich von Geismar unser GRÜNES Profil geschärft. Positiver Effekt am Wahltag: Strittige Themen sind gute Gründe, wählen zu gehen.

Wichtig ist allerdings, dass es sich nicht um inszenierte Scheinkonflikte handelt, hinter denen gar keine echten Auseinandersetzung steht. Ein Kindergartenstreit um den besten Platz im Sandkasten bewirkt eben nicht , dass politische Alternativen deutlich werden, sondern nur dass PolitikerInnen genau so ernst genommen werden wie Kindergartenkinder.

6. Themen müssen konkret und wichtig sein – nicht nur für uns

Unser Anspruch ist, „Inhalte“ ins Zentrum unserer Politik zu setzen. Wenn das bedeutet, möglichst lange und reichlich akademische Leitanträge und Wahlprogramme zu formulieren, bringt uns das an der Urne aber nicht weiter. Warum sollte jemand uns wählen, weil wir abstrakt für die Energiewende, für sozialen Wohnungsbau und für Inklusion sind? Das sind alle anderen grundsätzlich auch.

Darum müssen wir – vor allem im Wahlkampf – Themen auch über unsere Programmlyrik und Grundsatzpositionen hinaus setzen – möglichst konkret und eine klare Positionierung ermöglichend (Orientierungsfunktion!). Wenn es darum geht, ob Energiewende auch bedeutet, den Autoverkehr aus der Innenstadt zurückzudrängen, wird es spannend. Wenn die Frage ist, ob Wohnungsbau auf der „Grünen Wiese“ am Rand der Stadt oder auf bereits genutzten Geländen mitten in der Stadt stattfinden soll, ist da Musik drin. Konkretion schafft Unterscheidbarkeit und ermöglich damit die Entscheidung.

Der Konflikt um Themen vermittelt, dass es bei der Wahl „um etwas geht“ und dass es sich lohnt, wählen zu gehen. Freilich rufen Konfliktthemen auch Widerspruch hervor. Sie können auch auf der Gegenseite mobilisieren. Absolute „Außenseiterthemen“ bergen hier die größten Risiken – aber auch große Chancen, wenn wir uns sicher sind, in der Sache richtig zu liegen.

7. Dranbleiben lohnt sich

Wenn wir es schaffen, konkrete Themen zu setzen, am besten verknüpft mit Personen, idealerweise ein pointiertes Positionspapier mit klarer Haltung zu beschließen, dann heißt es: Dranbleiben! Es ist ein grober Fehler, ein kontroverses Thema anzuschneiden und es dann nicht weiter zu verfolgen. Bei den vielen intuitiv ablehnenden Personen bleibt nur hängen, dass die GRÜNEN mal wieder etwas Absurdes gefordert hätten. Und bei jenen, die wir hätten überzeugen können oder die unsere Forderung sogar besonders gut fanden, bleibt gar nix hängen. Und darauf, dass unsere politischen Gegner das Thema weiterspielen, wenn es ihnen nützt, können wir uns verlassen.

Darum muss ein einmal angerissenes Thema zu Ende gespielt werden – mit mehr als einer Pressemeldung, mit Aktionen, in Reden, in Flyern und Veranstaltungen. Immer wieder auch wenn es uns schon lange zu den Ohren raushängt. Im Wahlkampf bedeutet das auch: Konkrete (!) Themenplakate und Themenflyer, die genau eine politische Forderung zum Inhalt haben, sind wichtiger als das, was wir bisher als Themenplakate bezeichnen und was eigentlich besser „Politikfeldplakate“ heissen sollte.

Wir dürfen uns bei Gegenwind nicht in unser Schneckenhaus zurückziehen und ein Thema nur darum wieder fallenlassen, weil unsere politischen Gegner gegen uns sind. Wenn wir in der Sache richtig liegen, dann ist Gegenwind das Beste, was uns passieren kann.