G20 in Hamburg und die Gewalt in den Köpfen
Während der Einsatz in Hamburg noch läuft – ich schreibe dies am Morgen des 8. Juli 2017 -, ist es sicherlich zu früh für eine detaillierte Ursachen- und Fehleranalyse. Man muss festhalten, dass Gewalt auch gegen Sachen keine legitime Form des politischen Protests ist – schon weil sie sich nicht gegen die Sachen selbst richtet sondern gegen die Eigentümer. In Hamburg waren politisch verbrämte Hooligans zugange – obwohl die Zahl der friedlichen Demonstrant_innen sie weit in den Schatten stellte. Man muss aber auch festhalten, dass die erklärt harte Haltung der Hamburger Polizei nicht zur Entspannung der Lage beigetragen hat – um es vorsichtig auszudrücken.
Ich möchte mich um Differenzierung bemühen. Es ist wichtig, die politische Bewertung der Vorgänge von der strafrechtlichen Bewertung zu trennen. Wenn sich jemand seinen Freunden im schwarzen Block angeschlossen hat, in einer hitzigen Situation mitgerissen wurde und am Ende beim Abfackeln eines Autos erwischt wurde, ist dieser jemand strafrechtlich zu belangen. Er trägt seinen Teil der Verantwortung aber nicht unbedingt die politische (Gesamt-)Verantwortung für die Ereignisse in Hamburg. Umgekehrt muss auch ein Polizist, dem zur Unzeit der Schlagstock ausgerutscht ist, dafür die Konsequenzen tragen. Er trägt als Einzelperson aber kaum die Gesamtverantwortung für die furchterregende Eskalation dieses Wochenendes.
Eskalation ist immer unkontrollierbar
Das Wort „eskalieren“ wurde im Kalten Krieg geprägt, um die befürchtete Ausweitung konventioneller bewaffneter Konflikte zu thermonuklearen Vernichtungskriegen zu beschreiben. Es ging dabei nicht darum, dass dieser oder jener eine Lage bewusst eskaliert – niemand will den Atomkrieg. Vielmehr eskalieren Situationen, ohne dass die handelnden Akteure einer Seite dies bewusst angestrebt hätten: Jemand schießt versehentlich mit einer Pistole, jemand schießt mit dem Gewehr zurück, worauf jemand die Artillerie ruft, was zur Mobilisierung der Luftwaffe führt… „Eskalation“ beschreibt immer auch das Unberechenbare, die Eigendynamik konfliktgeladener Situationen, die sich schnell jeder Kontrolle entziehen.
Man kann sich vorstellen, dass jungen Menschen, die bedrohlich gerüsteten Polizisten mit Schlagstock, Wasserwerfer und Tränengas gegenüber stehen, dadurch nicht eben ermutigt werden, innerhalb der eigenen Gruppe den Diskurs über die Grenzen legitimen Protests zu führen. Druck von außen erzeugt Solidarisierung im Inneren. Man sich ebenso vorstellen, dass jungen Menschen, die sich als Polizisten einer zahlenmäßig weit überlegenen, aufgepeitschten Menschenmenge gegenüber sehen, trotz Ausbildung ein gewisses Verständnis für das besonders „robuste“ Vorgehen der Kollegen aufbringen. Und wenn es dann erstmal „rund“ geht, reagieren beide Seiten vor allem instinktiv.
Dadurch vermindert sich nicht die individuelle Mitverantwortung. Mir müssen von jedem und jeder Person verlangen, sich aber nicht mitreißen zu lassen. Aber es gibt eine Dimension der Verantwortung, die dem eigentlichen Konflikt vorgelagert ist. Denn Menschen machen Fehler.
Gewalt beginnt in den Köpfen
Unkontrollierte Gewalt beginnt meist lange, bevor der erste Stein oder das erste Pfefferspray geflogen ist, oft noch bevor eine Versammlung überhaupt startet. Sie beginnt, wenn „die Polizei“ unterschiedslos als „gewaltbereite Büttel eines faschistischen Unterdrückungsregimes“ diffamiert werden. Sie beginnt ebenso, wenn „die Mitglieder des Schwarzen Blocks“ unterschiedlos als potenzielle Polizistenmörder beschrieben werden, die – ergäbe sich nur die Gelegenheit – ohne mit der Wimper zu zucken einen Beamten kalt machen würden. (Solche Befürchtungen habe ich selbst schon gehört.)
Aus solchen Äußerungen höre ich den antiliberalen Geist Carl Schmitts, das Freund-Feind-Denken, das den (politischen) Gegner nicht als Partner begreift sondern als Feind, den es mit allen Mitteln zu vernichten gilt. Es ist die Logik des Ausnahmezustands, in dem unter dem höheren Gebot der vermeintlich gerechten Sache oder des eigenen Überlebens die geschriebene Gesetze und die ungeschriebene Regeln außer Kraft gesetzt werden – silent inter arma enim leges.
Verantwortung und Verantwortlichkeit
Deshalb ruht ein großer Teil der persönlichen Verantwortung für die Eskalation des G20-Gipfels am vergangenen Wochenende in Hamburg auf den Führungspersonen beider Seiten. Es gibt vielleicht Akteure in der autonomen Szene, die die Krawalle wollten, die sie trainiert und auf sie hingearbeitet haben. Sie hätten Strafe mehr verdient als die einzelnen Steinewerfer.
Es gibt wohl auch auf der anderen Seite Führungspersonen, die das Klima der Konfrontation geschürt und die Gräben vertieft haben. Sie haben sich nicht strafbar gemacht – aber sie tragen Verantwortung. Wer immer ein hohes politisches Amt oder ein Amt in den Sicherheitsbehörden nutzt, um sich als harter Hund zu profilieren, disqualifiziert sich für eben jenes Amt. Eine Rhetorik des „Wir-Gegen-Die“, des „Freund-oder-Feind“ hat in den Ordnungsbehörden eines liberalen Rechtsstaats nichts zu suchen!
Die Logik des Ausnahmezustands trägt immer wieder zur Eskalation von Kundgebungen bei. Es wäre die Verantwortung von Führung, Brücken über die Gräben zu bauen und sich nicht in ihnen zu verschanzen. Das gilt im Übrigen für die politische Linke genauso wie für die Polizei.
Political disclaimer – just because…
Dies mag sich nun für einige so lesen, als würde ich die gewalttätigen Polit-Hooligans in Schutz nehmen und die Schuld vor allem bei der Polizei suchen. Das ist Quatsch – für die einen fordere ich Haft, für die anderen stinknormale „accountability“ – Fehlerkultur.
Auch zum Weiterlesen: Gewalt ist ansteckend!
http://www.zeit.de/wissen/2017-07/g20-proteste-demonstrationen-gewalt-hamburg-polizei-psychologie-ausschreitungen
Lesenswert: Wer ist eigentlich „DER“ schwarze Block?
http://www.sueddeutsche.de/politik/protestforscher-ueber-g-chaos-die-strategie-der-polizei-ist-kolossal-gescheitert-1.3579457