Es geht nicht (nur) um Lesben und Schwule
Die Ehe für alle, also die volle rechtliche Gleichstellung lesbischer und schwuler Lebensgemeinschaften, ist die rote Linie des GRÜNEN Wahlprogramms. Besser: Sie ist die regenbogen-bunte Linie, die auf dem Weg zu schwarz-grünen Bündnissen nach der Bundestagswahl ein kaum zu überwindendes Hindernis darstellen könnte. Ein Schelm, wer dahinter eine böse Absicht Volker Becks vermutet.
Im Allgemeinen ist der GRÜNE Bundesparteitag 2017 in den Zeitungen gut weggekommen. Die Inszenierung der Geschlossenheit und Kampfeslust hat funktioniert. Die Partei hat sich hinter dem Spitzenduo Katrin und Cem versammelt – und auch hinter dem Anspruch, eine eigenständige Politik jenseits von Sozialdemokratie und Christdemokratie zu definieren. Über den Beschluss zur Ehe für alle gab es hingegen stellenweise Kopfschütteln. Am deutlichsten in der Zeit, wo Ludwig Greven den Beschluss mit den berüchtigten alle-reden-von-deutschland-wir-reden-vom-wetter-Plakaten verglich, das die GRÜNEN 1990 den Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag kostete.Die GRÜNEN, so der Vorwurf, würden sich mit Randthemen beschäftigen und die großen gesellschaftlichen Baustellen – gemeint sind wohl innere und äußere Sicherheit – rechts liegen lassen. Greven konstatierte der Partei rundheraus „Todessehnsucht“. Das Gegenteil ist der Fall.
Trump, Putin, Erdogan, LePen, Gauland und wie die VertreterInnen des neuen Autoritarismus heißen – ein aggressiv vertretenes konservatives Familienbild ist wesentlicher Bestandteil ihrer Ideologie. In Putins Fall kann man auch sagen, dass aggressive Homophobie eine zentrale ideologische Klammer seines Regimes ist. Ähnliches gilt auch für die deutsche rechtsextreme Szene.
Im Zentrum aller (neu)rechter Ideologie steht der Begriff der Volksgemeinschaft. Wie auch immer er konkret ausbuchstabiert sein mag – klassisch rassisch, religiös oder scheinbar modern kulturtheoretisch – immer beinhaltet er einige zentrale Gedanken: Es gibt ein „Wir“ und ein „Die“. Wer zu „uns“ gehört, macht sich an „natürlichen“ Merkmalen wie der „Rasse“, der Religion oder „Kultur“ – und eben Sexualität – fest. Die Ausgrenzung von Schwulen und Lesben – meist verbunden mit aggressiv zur Schau getragenem Machotum – ist darum ein integraler Bestandteil fast jeden rechten Autoritarismus.
Der Beschluss zur Ehe für alle bedeutet also nicht nur, dass die GRÜNEN sich für die überfällige rechtliche Gleichstellung einer Minderheit einsetzen. Der Beschluss ist auch eine bewusste Provokation nach ganz rechts. Die GRÜNEN sagen der neurechten Ideologie den Kampf an – und erfüllen damit ihren Anspruch, die Anti-AFD zu sein. Die Ehe für alle steht „pars pro toto“ für den Kampf für eine offene und vielfältiges Gesellschaft, in der Unterschiede kein Hindernis für ein gelingendes Zusammenleben sind.
Richtig ist: Der Beschluss zur Ehe für alle zwingt die CDU – mehr noch aber die CSU -, Farbe zu bekennen: Willst du, liebe Union, am Ende des Tages auf der Seite von Liberalismus und Aufklärung stehen? Oder ist dir die absolute Mehrheit in Bayern wichtiger? Sie ist zu recht das Schibbolet für eine mögliche schwarz-grüne Zusammenarbeit im Bund. Denn eine CDU, die ihren Unwort-Begriff von der Leitkultur in einer Weise interpretiert, die andere, anders-seiende ausschließen will, ist für GRÜNE nicht koalitionsfähig. Da geht es schlicht um ein unterschiedliches. Grundverständnis von Gesellschaft.
Mit dem Beschluss zur Ehe für alle und der gleichzeitigen Absage an eine formale Ausschließeritis markieren die GRÜNEN den Anspruch, nicht nur das ökologische Anhängsel wahlweise zu SPD oder zu CDU zu sein. Sie markieren vielmehr eine inhaltliche Linie. GRÜNE sind die Partei des Pluralismus: Vielfalt bereichert eine Gesellschaft. Und der Staat hat die Aufgabe, diese Vielfalt nicht nur zu ertragen und sich darüber hinaus möglichst rauszuhalten (das Modell des klassischen Liberalismus à la FDP). Der Staat soll Vielfalt fördern und ermöglichen. Dafür lasse ich mich im kommenden Wahlkampf gern von AFD-Anhängern beschimpfen.