Zur Landesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN in Niedersachsen am 10./11. März habe ich diesen Antrag unter dem Tagesordnungspunkt „Grüner Aufbruch“ gestellt. Er ist im Zuge einer „modifizierten Übernahme“ in den Hauptantrag des Landesvorstands einflossen.
Aufbruch für GRÜNE Politik in Niedersachsen
In den Landtagswahlen 2017 sind wir als GRÜNE in Niedersachsen deutlich unter unseren Möglichkeiten geblieben. Anders als den GRÜNEN zum Beispiel in Schleswig-Holstein ist es uns nicht gelungen, bei dieser Wahl auf dem Wahlerfolg von 2013 aufzubauen. Dies dürfen wir nicht nur äußeren Umständen, unseren Strukturen oder gar einzelnen Personen anlasten. Nach der Wahl von 2017 müssen wir uns auch fragen, ob wir als GRÜNE in Niedersachsen den aktuellen politischen Herausforderung gerecht geworden sind.
Die Rolle der GRÜNEN hat sich in der Zeit seit den Wahlerfolgen von 2013 stark verändert. In einem instabilen Parteiensystem mit schwindenden „Volksparteien“ und mit Wahlergebnissen deutlich jenseits der 10 Prozent sind wir nicht länger bloß Anwältin bestimmter Themen und Vertreterin bestimmter Bewegungen. Wir tragen heute Mitverantwortung für die Gesellschaft als Ganzes und ihre Zukunftsfähigkeit.
In Niedersachsen haben wir GRÜNE diese neue Rolle in den letzten Jahren nicht immer angenommen. Wir haben uns weiter als Teil eines politischen Lagers gesehen, das im Wesentlichen von einer schwindenden SPD getragen wird. Wir haben uns in der Außendarstellung auf unsere traditionellen Themen konzentriert – und Viele frustriert, die unsere Antworten auf andere Fragen hören wollten. KritikerInnen sind wir oft mit erhobenem Zeigefinger und verschränkten Armen begegnet. So haben wir auch jene abgeschreckt, die uns eigentlich wohl gesonnen sind.
Wenn wir den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden wollen, müssen wir raus aus dieser Nische!
Eine neue GRÜNE Eigenständigkeit
Wir GRÜNE werden gebraucht – weil Rechtspopulisten und Rechtsextreme die Axt an die Wurzel des gesellschaftlichen Zusammenhalts legen, weil wieder gegen Minderheiten und Andersdenkende, gegen Presse und Justiz gehetzt wird, weil weite Teile der Politik die Augen vor dem Klimawandel und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich verschließen, weil die europäische Integration nicht mehr unumkehrbar scheint. Beide früheren Volksparteien sind tief verunsichert vom Wegfall traditioneller Milieus und der Konkurrenz von ganz links und extrem rechts. Wir können uns nicht länger darauf verlassen, dass Sozialdemokraten und Christdemokraten die Gesellschaft zusammenhalten und ihre drängendsten Probleme zu lösen. Sie befinden sich in einer existenzbedrohenden Krise und haben nicht mehr die Kraft dazu.
Deshalb werden wir GRÜNE nicht nur als einzige konsequent ökologische Kraft gebraucht, nicht nur als kritisch mahnende Stimme und nicht nur als Partei für die vergessenen aber wichtigen Themen.Von einer Themen- und Bewegungspartei innerhalb eines fest gefügten Lagers müssen wir zu einer Partei werden, die auch nach außen hin einen eigenständigen politischen Entwurf verkörpert.
In Regierung wie Opposition müssen wir alte Beißhemmungen ebenso abbauen wie alte Beißreflexe. Unser politisches Lager muss das Lager der DemokratInnen sein. Wir sind nicht Mehrheitsbeschafferin einer anderen Partei, sondern haben in jeder Koalition den Anspruch, inhaltlicher Motor zu sein und die Regierungspolitik insgesamt mitzubestimmen. Als Opposition wollen wir nicht nur den Finger in die Wunde legen, sondern der Politik der Koalition eigene Konzepte entgegenstellen.
Mut zur Verantwortung in allen Politikbereichen
In den letzten Wahlen haben wir uns vor allem als ökologische Kraft positioniert. Unsere Schwerpunkte waren Tier-, Natur- und Klimaschutz. Diese Themen sind und bleiben im Kern unserer politischen Identität. Die Krise der früheren „Volksparteien“ bedeutet aber: Wir können uns auch nach außen hin nicht auf unsere angestammte Rolle der „Öko-Partei“ zurückziehen.
Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit. So beginnt unser aktuell gültiges Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2002. Wir GRÜNE müssen auf allen Politikfeldern unseren Teil der Verantwortung für eine offene, gerechte und vielfältige Gesellschaft tragen. Als linke und liberale Kraft suchen wir nach Wegen, unseren wirtschaftlichen Wohlstand angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen zu erhalten. Als Partei des Rechtsstaats wollen wir Sicherheit schaffen, ohne bürgerliche Freiheitsrechte in Frage zu stellen.
Das bedeutet aber auch: Wir können die für uns schwierigen Themen nicht anderen überlassen. Und wir dürfen nicht nur radikale Forderungen aufstellen, sondern auch zu fairen Kompromisse bereit sein, wo unsere politischen Ziele die legitimen Interessen Einzelner berühren.
Für eine Politik der ausgestreckten Hand
Wir haben in den Jahren nach unserer Gründung schwere Kämpfe ausgefochten – gegen die Atomkraft, gegen einen autoritären Obrigkeitsstaat, gegen Industrieinteressen, gegen das Patriarchat. Wir haben diese Gesellschaft verändert, sie offener, gleichberechtigter und nachhaltiger gemacht. Heute kämpfen wir nicht mehr aus der Position des “Underdogs” um die Veränderung eines erstarrten Systems. Wir ringen heute mitten in der Gesellschaft um Mehrheiten für eine ökologische, soziale und weltoffene Politik. Statt auf eine Politik der verschränkten Arme müssen wir darum auf eine Politik der ausgestreckten Hand setzen.
Aus früheren GegnerInnen sind potenzielle Verbündete geworden. Viele UnternehmerInnen haben ihre ökologische Verantwortung angenommen und nutzen das Potenzial der sozialen Markwirtschaft für eine nachhaltige Ökonomie. Viele PolizistInnen teilen unser Verständnis eines liberalen Rechtsstaats und einer freien und offenen Gesellschaft. Viele – auch konventionell arbeitende – Landwirtinnen und Landwirte verstehen den Wert einer Landwirtschaft mit Rücksicht auf Tier und Umwelt. Sie sind PartnerInnen für unsere Politik und mit ihrem Praxiswissen ein wichtiger Realitätscheck für unser Programm.
Auch mit jenen, die unserer Politik kritisch gegenüber stehen, müssen wir wir den Dialog führen. Eine Politik der ausgestreckten Hand bedeutet nicht, Konflikten auszuweichen. Sie bedeutet, Konflikte auf Augenhöhe zu führen. Wir nehmen die Positionen und legitimen Interessen unserer KritikerInnen ernst und suchen einen Ausgleich mit den Erfordernissen einer ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Politik. Das unterscheidet uns von jenen PopulistInnen, die die Gesellschaft in Verbündete und Feinde, in „wir“ und „die“ spalten, die seit jeher Feindbilder nutzen, um ihre eigenen Reihen zu schließen und AnhängerInnen zu gewinnen.
Darum müssen wir manche lieb gewonnene Vorurteile und Glaubenssätze hinterfragen. Wir brauchen Institutionen wie Unternehmensgrün und Polizeigrün auch in Niedersachsen. Und wir brauchen Formate „GRÜN im Dialog“ für den Austausch mit der uns gegenüber kritischen Wissenschaft und Fachöffentlichkeit. Vor allem aber brauchen wir eine aufrichtige Haltung der Dialogbereitschaft auf allen Ebenen unserer Politik.
Raus aus der Nische!
Wir GRÜNE in Niedersachsen wollen uns mit dieser Landesdelegiertenkonferenz politisch und programmatisch neu aufstellen. In den kommenden Jahren wollen wir mit engagierter und konstruktiver Oppositionsarbeit auf allen Feldern eine Alternative zur großkoalitionären Politik der Verunsicherung bieten. Dabei beanspruchen wir eine neue Rolle als selbstständige, kompromiss- und dialogbereite Kraft, ohne unseren Anspruch einer konsequent ökologischen, sozialen und liberalen Politik in Frage zu stellen.
Begründung:
Erfolgt mündlich.