Teil 2 – Teambuilding

Ich hatte das große Glück, von Juni bis November 2019 den Wahlkampf von Belit Onay in Hannover leiten zu dürfen. Dieser Text ist der zweite Teil einer kleinen Serie über diesen Wahlkampf und erzählt von dem Team, das Belits Wahlkampf organisiert hat.

Meinungsforschung

Am 21. Oktober 2019 hatte mein Zug am Morgen Verspätung. Als ich ankam, platzte im Grünen Zentrum der kleine Sitzungsraum aus allen Nähten. Alle redeten euphorisch durcheinander, klopften sich gegenseitig auf die Schulter und analysierten und feierten – die eigentlichen Teammitglieder, die Parteivorsitzenden und Gäste aus der Geschäftsstelle der Fraktion. Mittendrin Belit, der gelöst aber auch ein wenig perplex wirkte. Am Samstag zuvor hatte die Hannoversche Allgemeine Zeitung eine repräsentative Umfrage veröffentlicht. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa sah uns mit 26 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz – nur zwei Punkte hinter der CDU und drei Punkte vor der SPD. Das war eine Woche vor dem ersten Wahlgang. Ich begrüßte das versammelte Team mit „Ich sehe, die Stimmung ist im Keller.“ Alle lachten und wir begannen mit unserer Teambesprechung.

Wahlkampf ist Exekutive

Oft funktionieren Teams bei den GRÜNEN ungefähr so: Alle machen mit, die mitmachen wollen. Alle reden zu allem und es wird üblicherweise so lange diskutiert, bis es einen Konsens gibt – oder halt auch nicht. Wenn sich alle einig sind und es gut läuft, fragt jemand: Wer setzt den Beschluss jetzt um? Das ist der Moment, an dem alle ihre Fingernägel auf Zeichen von Kalziummangel untersuchen. Es ist ein großartiger Weg, einen Wahlkampf zu verlieren.

Wir wollten es anders machen. In unserem Team hatte jedeR eine eigene Aufgabe: Heike war für die Pressearbeit zuständig, Franzi für Social Media; Christopher koordinierte die Kandidatentermine, Elke organisierte Veranstaltungen; Anna begleitete den zentralen Straßenwahlkampf, Liam den Haustürwahlkampf und Jürgen sorgte für die Logistik. Hinzu kam Jan als Fotograf und vier HelferInnen fürs Plakatieren. Fast alle erhielten zeitlich begrenzte Arbeitsverträge oder waren von anderen Parteigliederungen ausgeliehen – ein großer Teil des Gesamtbudgets floss in Personal. Nicht vergessen werden dürfen Hannes und Sascha, die mit uns zum Anfang der Kampagne die großartige Plakatlinie entwickelten – und natürlich geschätzt über 200 Freiwillige, die auf der Straße und den Plätzen, an Haustüren und Infoständen Wahlkampf machten.

Meine eigene Aufgabe war es, das Team zu leiten. Ich traf die meisten operativen Entscheidungen, während Belit in der Stadt Wahlkampf machte. Der Verzicht auf Mehrheits- und Konsensentscheidungen war für viele Teammitglieder zunächst sichtlich gewöhnungsbedürftig, auch für mich. Ich will eigentlich lieber überzeugen als anordnen. Es kratzte irgendwie am grünen Selbstbild. Bis zuletzt legte ich deshalb Wert darauf, meine Entscheidungen zu begründen – auch wenn Einige die Augen verdrehten und lieber schnell weitermachen wollten.

Zum Glück hatten wir in Hannover einen Stadtvorstand, der hinter dieser Linie stand und einen Verband, der damit leben konnte. Im Wahlkampf geht es um Schnelligkeit und Einheitlichkeit der Kommunikation – und damit um klare Zuständigkeiten und klare Entscheidungswege. Wahlkampf ist Exekutive – die legitimierende politische Grundsatzentscheidung fällt vorher auf der Mitgliederversammlung. Dieser Zeit- und Entscheidungsdruck war für uns noch größer, weil der Wahlkampf vorzeitig kam und wir weit weniger Vorlauf hatten als üblicherweise.

Nach dem Wahlkampf sagte Ludwig, einer der Vorsitzenden, er habe mich noch nie so autoritär erlebt wie in dieser Zeit. Ich glaube, es war als Kompliment gemeint.

Mondays for micromanagement?

Nicht immer war auf unseren Teambesprechungen die Stimmung so gut wie in der am Anfang des Textes Geschilderten. Vor allem am Anfang fochten wir Runde um Runde, ob das „Wagen“ in „Wagen wir den Aufbruch!“ nicht unseren eigenen Kandidaten in Frage stellte. Dem waren bereits stundenlange Debatten vorausgegangen, in denen wir feststellten, dass niemandem ein besseres Wort als „Aufbruch“ einfallen würde. Doch diesen Punkt ließen wir hinter uns.

Zum Ende der Kampagne liefen die Besprechungen sehr diszipliniert ab. Montags reflektierten wir im Kernteam mit Belit kurz die Termine der letzten Woche und bereiteten anschließend die Termine der kommenden Woche vor: Welche inhaltliche Vorbereitung ist nötig? Wer begleitet Belit? Wer macht Fotos? Wird der Termin für soziale Medien aufbereitet? Wenn nach „Rückblick-Ausblick“ noch Zeit war wir sie uns nahmen, sprachen wir über das Programm und unsere eigenen Initiativen. Die Teammitglieder brachten offene Fragen aus ihrem jeweiligen Bereich ein, es wurden Argumente ausgetauscht und am Ende entschied ich, wie es gemacht würde. Belit hatte in allen Angelegenheiten das letzte Wort. In der Umsetzung agierten die jeweils Verantwortlichen dann sehr selbstständig – für Mikromanagement wäre überhaupt keine Zeit gewesen.

Mittwochs trafen wir uns (eigentlich) ohne Belit. Es ging um Organisatorisches: Plakatwerbung, Veranstaltungen, Infostände, Logistik. Wann kommen die Flyer? Wie weit sind die Vorbereitungen zum Dreh unserer Videoclips? Wie oft kann der Kandidat die Infostände der Stadtteilgruppen besuchen, ohne Zeit für alle anderen wichtigen Termine zu blockieren? Oft haben wir aber auch die inhaltlichen Dinge besprochen, die wir am Montag nicht mehr geschafft haben.

Der zweitwichtigste Erfolgsfaktor

Ich glaube, dass dieses Team am Ende der wichtigste Faktor für den Wahlerfolg war – nach dem Kandidaten selbst natürlich. Mein erster Rat an andere Wählkämpfende wäre deshalb, sich am Anfang des Wahlkampf gründlich Gedanken über Aufbau- und Ablauforganisation desselben zu machen, Geld in Personal zu investieren und keine Angst vor (maßvoll) hierarchischen Strukturen zu haben.

Bis das Team vollständig war, sollte es allerdings noch bis etwa fünf Wochen vor der Wahl dauern. Am Tag von Belits Nominierung zum Kandidaten war ich der einzige bezahlte Wahlkämpfer. Damit waren wir in dieser Frage aber schon weiter als bei der anderen, mindestens ebenso wichtigen: Warum sollten die Hannoveranerinnen und Hannoveraner Belit eigentlich wählen?

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