Wie groß ist eigentlich so ein Markenkern?

Beobachtung über Wählerbindung und Strategie

Die Erzählung vom verwässerten Markenkern der GRÜNEN ist so alt wie die Geschichte grüner Regierungsbeteiligungen. Sie hat sich nach der Bundestagswahl 2013 als eines der dominierenden Deutungsmuster für den aus GRÜNER Sicht enttäuschenden Wahlausgang herausgebildet: Zu viel Sozial- und Steuerprogramm, zu wenig Ökologie. Die Partei habe ihren ökologischen Markenkern geschwächt und deshalb verloren. Ich halte diese Erklärung für falsch – aber das ist hier nicht mein Thema. Mir geht es darum, wie weit eigentliche der Markenkern-Gedanke trägt und wie er sinnvoll zu interpretieren ist.

Ich möchte auf Wahlergebnisse schauen, konkret auf die letzten Wahlen in Nordrein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Eigentlich möchte ich also nicht den Markenkern betrachten sondern das, was man wohl Kundenstamm nennen würde.

Ich beziehe mich – bei aller methodischer Vorsicht und ebenfalls hier gegebenen Komplexität – auf die Wählerwanderungs-Analyse von infratest dimap, und zwar auf die Brutto-Zahlen, wie sie z.B. ZEIT ONLINE für SH und NRW in einer sehr guten Infografik aufbereitet hat. Brutto-Zahlen bedeutet hier: Zugewinne und Verluste werden nicht aufgerechnet wie in der ARD-Wahlberichterstattung sondern getrennt ausgewiesen. Dadurch wird es möglich, die WählerInnenbindung zu beobachten.

Zunächst interessant: Die GRÜNEN in NRW konnten lediglich 30% Ihrer Stimmen aus der letzten Wahl halten, in SH waren es 48% (knapp 50% scheint hierbei ein solides Mittel unter den Parteien zu sein).

Die Zugewinne hingegen sind ziemlich ähnlich verteilt: Jeweils etwas weniger als die Hälfte der Menschen, die GRÜN gewählt haben, hat dies auch schon bei der letzten Landtagswahl getan.

Das sollte der Partei Anlass geben zu überlegen, was eigentlich ihr Markenkern ist und sein sollte. Ist es realistisch, dass die 50% neuen WählerInnen, die Partei deswegen gewählt haben, weil sie die „härtesten Ökos“ sind? Hat die Partei in NRW 70% ihrer WählerInnen der letzten Wahl verloren, weil sie nicht ökologisch genug war? Eher unwahrscheinlich.

Die unterschiedlichen Wahlergebnisse korrelieren mit der Fähigkeit potenzielle WechselwählerInnen zu binden (also solche, für die nicht die Alternative „GRÜNE oder Enthaltung“ lautet). Das ist umso deutlicher, wenn man sich die Unterschiede in Kommunikation und Kampagnenstrategie zwischen Kiel und Düsseldorf anschaut. Die Kampagne in Kiel machte insgesamt einen offenen, nach außen gerichteten Eindruck, ohne dabei „ungrün“ zu wirken. Eine ausführlichere Analyse der Wahlergebnisse legt ebenfalls nahe, dass es in SH keine GRÜNEN-untypischen Entwicklungen gab – außer vielleicht, dass wir bei Älteren und Rentnern gewonnen haben (Der eigentliche Habeck-Effekt?). Die Kampagne in Düsseldorf erschien defensiver und vor allem in der Schlussphase stärker darauf ausgerichtet, die eigene Kernklientel zu halten und zu aktivieren. Im Norden war man klar GRÜN aber deutlich weniger auf die „StammwählerInnen“ fokussiert.

Zusammenfassung: In NRW ist es kaum gelungen, WählerInnen zu halten und weniger gelungen, Verluste durch Hinzugewinnen neuer Wählerinnen auszugleichen. Wenn nur die Hälfte der WählerInnen die GRÜNEN schon bei der letzten Wahl gewählt haben, ist das die Obergrenze dafür, was man als den „Harten Kern“ annehmen kann. Und in NRW läge dieser Harte Kern – würde man bei einer Wahl wirklich auf ihn zurückgeworfen – deutlich unter 5%. Die Kernklientel ist damit sehr wichtig – sie reicht aber nicht aus, weil auch ein Großteil der GRÜNEN WählerInnen WechselwählerInnen sind.

Neben der Mobilisierung ihres harten Kerns sind die GRÜNEN – wie alle andere Parteien auch – darauf angewiesen, Wählerinnen und Wähler einer breiteren Schicht anzusprechen. Anders ausgedrückt: Die GRÜNEN können nicht nur auf ihre Stammkundschaft setzen – sie brauchen auch die Laufkundschaft. Der inoffizielle Claim „Die Ökopartei“ spricht vielleicht doch zu wenige an. Die Partei sollte ihren „Markenkern“ nicht zu eng fassen.

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